Ein Startup ist Glücksspiel. Zehn sind Mathematik.

Beim Erfolg geht es nicht um die Karten, die dir ausgeteilt werden – sondern darum, wie viele Hände du spielst. Warum du deine Karriere wie einen Poker-Algorithmus betrachten solltest, um Angst in ein reines Wahrscheinlichkeitsspiel zu verwandeln.

Ein Startup ist Glücksspiel. Zehn sind Mathematik.
Feng LiuFeng Liu
12. Dezember 2025

Startups, Poker und das Gesetz der großen Zahlen

Stell dir einen Pokertisch vor. Du hast zwei verdeckte Karten auf der Hand, fünf Gemeinschaftskarten liegen auf dem Filz und vor dir steht ein Stapel Chips. Jede Entscheidung – Checken, Setzen, Erhöhen, Folden – ist die Ausführung von Logik, basierend auf unvollständigen Informationen.

Jetzt stell dir dein Startup vor. Du hast eine Produktidee, einen Markt und eine Runway. Jede Entscheidung – Shippen, Pivoten, Einstellen, Feuern – folgt exakt demselben Mechanismus.

Es gibt dieses Missverständnis, dass der Aufbau eines Unternehmens eine Kunstform sei, ein Geniestreich, der nur Visionären vorbehalten ist. Aber nach 10 Jahren des Bauens, Scheiterns und gelegentlichen Gewinnens bin ich zu einem anderen Schluss gekommen. Es ist keine Kunst. Es ist Wahrscheinlichkeitsrechnung.

Genauer gesagt: Es ist die Schnittmenge aus Exekution und Mathematik.

Die meisten Erstgründer spielen ihr Startup wie einen Lottoschein. Sie rubbeln ihn auf, hoffen auf drei Kirschen, und wenn sie verlieren, glauben sie, das Spiel sei manipuliert. Aber erfahrene Builder und Investoren spielen das Spiel wie Texas Hold'em-Profis. Sie verlassen sich nicht auf Glück; sie verlassen sich auf ein System.

Der Algorithmus des Pokerspielers

Wenn du einem professionellen Pokerspieler zusiehst, fällt dir vielleicht etwas Langweiliges auf: Sie folden oft. Sie jagen nicht dem Adrenalinkick des Glücksspiels hinterher; sie führen eine Strategie aus.

Sie haben einen Algorithmus im Kopf. Sie bewerten die Stärke ihrer Hand im Verhältnis zur Struktur des Boards und dem Verhalten des Gegners. Sie berechnen die Pot Odds. Wenn der Erwartungswert (Expected Value, EV) positiv ist, schieben sie Chips in die Mitte. Ist er negativ, werfen sie die Karten weg.

Hier ist der entscheidende Teil: Ein Profi kann eine Hand perfekt spielen und trotzdem verlieren.

Das ist die Natur der Varianz. Aber sie wissen, dass das Gesetz der großen Zahlen garantiert, dass sie am Ende mehr Chips haben werden als zu Beginn, wenn sie 1.000 Mal die mathematisch korrekte Entscheidung treffen. Sie optimieren ständig ihre Wahrscheinlichkeit.

In der Startup-Welt ist dein "Algorithmus" deine Umsetzungsstärke (Execution). Es ist deine Geschwindigkeit beim Shippen, deine Fähigkeit, mit Nutzern zu sprechen, dein Instinkt für Design. Während du baust, versuchst du nicht nur, die aktuelle Hand zu gewinnen; du verfeinerst deinen Algorithmus, um beim nächsten Mal bessere Entscheidungen zu treffen.

Die VC-Portfolio-Theorie

Investoren verstehen dieses Spiel instinktiv, oft besser als Gründer. Sie betrachten Kapitalallokation als Portfoliostrategie.

Ein VC weiß, dass von 20 Investments:

  • 10 auf Null gehen werden.
  • 5 das Geld zurückbringen.
  • 4 ordentliche Renditen erzielen.
  • 1 ein Unicorn wird.

Dieser eine "Home Run" muss nicht einfach nur erfolgreich sein; er muss so massiv erfolgreich sein, dass er die Verluste der anderen 19 deckt und den Fonds zurückzahlt. Das ist das Power Law (Potenzgesetz).

Investoren weinen nicht, wenn ein Portfoliounternehmen scheitert. Es ist nur eine gefoldete Hand. Sie spielen das "Long Game" und verlassen sich auf ihre These (ihre Methode), um im Laufe der Zeit die Gewinner zu identifizieren. Sie wetten auf die Verteilung, nicht auf das einzelne Ergebnis.

Das Dilemma des Gründers (und die Lösung)

Hier wird es für uns Builder schmerzhaft. Im Gegensatz zu einem VC, der 20 Wetten gleichzeitig platziert, platziert ein Gründer normalerweise eine Wette alle 5 bis 7 Jahre. Wir sind bei einer einzigen Hand "All-in".

Wenn du All-in bist, ist die emotionale Belastung einer schlechten River-Karte (ein Marktcrash, ein Konkurrent, ein gescheiterter Launch) verheerend. Es fühlt sich persönlich an. Es fühlt sich an, als wärst du der Versager.

Aber betrachten wir das durch die Linse des "Gründer-Algorithmus".

Deine Methodik ist dein Vorteil.

Genau wie ein Pokerspieler seine Strategie verfeinert, hast du dein Werkzeugset: Lean Startup-Prinzipien, MVP-Entwicklung, Growth Hacking, Customer Discovery.

  1. Der Deal: Du entdeckst ein Problem (die Hand).
  2. Der Flop: Du launchst ein MVP, um das Wasser zu testen.
  3. Der Turn: Du erhältst Daten. Die Nutzer hassen es? Pivot (Fold). Die Nutzer lieben es? Verdoppeln (Raise).
  4. Der River: Du skalierst oder du stirbst.

Jedes Mal, wenn du diesen Kreislauf durchläufst – launchen, messen, lernen –, aktualisierst du deine internen Wahrscheinlichkeiten. Du wirst besser darin, den Tisch zu lesen.

Deshalb sage ich neuen Gründern: Verlieb dich nicht in das Blatt. Verlieb dich in das Spiel.

Die Regel der Zehn

Hier ist die Wahrheit, über die niemand genug spricht: Ein Startup einmal zu machen, ist Glücksspiel. Es zehnmal zu machen, ist eine Karriere.

Wenn du ein Produkt baust und aufhörst, weil es gescheitert ist, bist du ein Tourist im Casino. Du hast eine Hand gespielt, durch einen "Bad Beat" verloren und bist meckernd rausgegangen.

Aber wenn du dich dem Leben eines Builders verschreibst, verschiebt sich die Mathematik zu deinen Gunsten.

Sagen wir, deine Erfolgswahrscheinlichkeit bei deinem ersten Startup liegt bei 5%. Das ist großzügig. Du weißt nicht, was du tust. Du machst den Code unnötig kompliziert (Over-Engineering), du ignorierst das Marketing, du setzt den Preis falsch an.

Aber du launchst. Du scheiterst. Du lernst.

Bei deinem zweiten Versuch liegt deine Wahrscheinlichkeit vielleicht bei 8%. Du verwendest Code wieder. Du hast eine kleine E-Mail-Liste.

Bei deinem fünften Versuch hast du ein Netzwerk, du weißt, wie man Ideen in 48 Stunden validiert, und du hast einen Ruf. Deine Erfolgswahrscheinlichkeit liegt vielleicht bei 25%.

Wenn du dieses Spiel zehnmal spielst, nähert sich die Wahrscheinlichkeit, dass mindestens eines davon erfolgreich ist, der Gewissheit an. Es wird zu einer mathematischen Unausweichlichkeit.

Das ist der "lange Krieg des Startups". Der Sieg gehört nicht dem Genie, das beim ersten Versuch Glück hatte (obwohl wir sie alle beneiden). Der Sieg gehört dem Grinder, der lange genug am Tisch geblieben ist, bis sich die Wahrscheinlichkeiten zu seinen Gunsten gefügt haben.

Praktische Takeaways

Wie wenden wir diese Poker-Denkweise also auf unsere tägliche Arbeit an?

  1. Verkürze die Dauer der Hand: Beim Poker dauert eine Hand 2 Minuten. Bei Startups kann eine "Hand" 2 Jahre dauern. Das ist zu langsam. Verkürze deine Feedback-Schleifen. Kannst du ein Feature in 2 Wochen validieren? Kannst du einen Markt in 2 Tagen testen? Je mehr Hände du pro Jahr spielst, desto schneller verbessert sich dein Algorithmus.

  2. Jage Verlusten nicht hinterher: Das ist die "Sunk Cost Fallacy". Wenn der Markt (das Board) dir klar zeigt, dass du nicht gewinnen kannst, folde. Verbrenne nicht weitere 6 Monate Runway, nur weil du schon 6 Monate ins Bauen investiert hast. Spar dir deine Chips (Zeit und Geld) für eine bessere Hand.

  3. Bankroll Management: Ein Profispieler setzt niemals 100% seines Nettovermögens auf einen Tisch. Als Gründer musst du deine geistige Gesundheit und deine persönlichen Finanzen schützen. Brenn dich nicht so sehr für Projekt A aus, dass du es dir mental nicht mehr leisten kannst, Projekt B zu starten.

  4. Analysiere deine Spielaufzeichnung: Profispieler analysieren ihre Hände nach dem Spiel. Tust du das auch? Wenn ein Launch scheitert, schmollst du dann nur? Oder führst du ein schuldzuweisungsfreies Post-Mortem durch, um dein mentales Modell zu aktualisieren?

Der letzte Chip

Ich habe brillante Ingenieure nach einem einzigen Misserfolg aufgeben sehen. Ich habe durchschnittliche Entwickler erfolgreich werden sehen, weil sie einfach immer weiter geshippt haben.

Der Unterschied war nicht der IQ. Es war das Verständnis, dass dies ein unendliches Spiel ist.

Du baust ein Portfolio an Erfahrungen auf. Manche werden Fehlschläge sein (Abschreibungen). Manche werden bescheidene Gewinne sein (Cash Cows). Und wenn du deine Exekution weiter optimierst und die Hände korrekt spielst, wirst du irgendwann das perfekte Blatt treffen.

Behalt deine Chips auf dem Tisch. Mischen und geben.

Visualizing the Long Game

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Feng Liu

Feng Liu

shenjian8628@gmail.com

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